Forschung im Bereich Nachhaltigkeit

Die fachliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit ist extrem wichtig und wertvoll - insbesondere auch für die Festlegung von Zielen. Für die Umsetzung in die Praxis braucht man Systeme, mit denen die Nachhaltigkeit bewertet werden kann. Das Messbarmachen ist wichtig für die praktische Anwendung. Daran scheitert die Umsetzung in die Praxis leider zu oft. Darum entwickle ich Methoden und Werkzeuge.
Markus Lichtmeß

Methoden

Zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Bauprojekten stehen weltweit unterschiedliche Systeme zur Verfügung.
  • DGNB (BRD)
  • BREEAM (Großbritannien)
  • LEED (USA)
  • HQE (Frankreich)
  • CASBEE (Japan)
  • Green Star (Australien)
Diese Systeme haben einen zum Teil sehr unterschiedlichen Umfang und Fokus und die Anwendung ist auch eher auf größere Bauprojekte ausgerichtet.
 
Zertifizierungssystem
Ich unterstütze Luxemburg seit 2013 bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeits-Zertifizierung (LENOZ), die sich auf Wohngebäude fokussiert. Das Verfahren ist seit 2016 in Luxemburg in der Anwendung. Bei der Konzipierung wurde auf eine möglichst hohe Synergie mit bereits bestehenden Systemen zur Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden gelegt. Bereits vorhandene Daten sollen bestmöglich genutzt werden, neue Daten sollen möglichst effizient erhoben werden. Entsprechende Förderprogramme sind dazu entwickelt worden.
Update | Das System ist aktuell in Überarbeitung zur Version 2.0. In die Überarbeitung sollen die Aspekte Gesundheit und Baumaterialien weiter in den Vordergrund rücken. Zudem soll die Kopplung von Fördermaßnahmen besser und einfacher abgestimmt werden. Seit 2021 unterstütze ich das Luxemburger Umweltministerium bei der Weiterentwicklung des Zertifizierungssystems sowie bei einer darauf aufbauenden Förderung.
 
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Baumaterial-Indikator
Die Bewertung der Umweltauswirkungen von Baumaterialien spielt in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle. Hinsichtlich einer Klassifizierung kann eine Unterteilung der Dämmmaterialien in drei Kategorien erfolgen.
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Man findet Baumaterialanalysen oft nur basierend auf den CO₂-Emissionen. Das ist hinsichtlich der vorhandenen Umweltauswirkungen lediglich ein Teilbereich und daher nur bedingt aussagekräftig. In EPD's liegen weitere Kenngrößen vor, mit denen ein besseres Bild zur Umweltbelastung gezeichnet werden kann. Das für Luxemburg entwickelte Verfahren ermöglichst es, die Umweltauswirkungen (Versauerung, Überdüngung, Ozonabbau und -bildung, Treibhauseffekt; ab Version 2.0 sollen auch der abiotische Abbau nicht fossiler Ressourcen, der abiotische Abbau fossiler Brennstoffe, das Wasser-Entzugspotential, sowie eine Differenzierung beim Überdüngungspotentials in Land, Süß- und Salzwasser einbezogen werden - in Anlehnung an die Wirkindikatoren nach EN 15804+A2) und den Primärenergieverbrauch bei der Herstellung einzubeziehen.
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Die Bewertung des Materialindikators, also die rechnerische Kombination der Umweltauswirkungen beruht auf der normalisiert-gewichteten Emission eines Weltbürgers. Folgendes Schema zeigen den Ablauf für die automatisierten Bewertung eines Bauprodukts (Umweltindikator für Materialherstellung). Mit dem Gesamtverfahren können Auswertungen und Vergleiche auf der Material-, der Bauteil- und auf der Gebäudeebene durchgeführt werden. Der Bewertungsumfang für das Luxemburg System ist die Herstellungsphase (A1 bis A3). Die Aspekte Kreislauf- und Recyclingfähigkeit werden an anderer Stelle in der Zertifizierung bewertet.
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Grundlage der Bewertung sind EPD's (Environment Product Deklaration), so wie sie auch z.B, in der Ökobaudat gesammelt werden. Es können (und sollten) individuelle und herstellerbezogene Daten verwendet werden. Da die einzelnen Bewertungsgrößen der Umwelteinflüsse in unterschiedlichen Einheiten und Größen vorliegen, ist es sinnvoll diese zu kombinieren und in einem gemeinsamen Kennwert zu kombinieren, der dann auf der normalisiert-gewichteten Emission eines Bürgers bezogen ist. Für LENOZ 2.0 orientieren sich die Normalisierungs- und Gewichtungsfaktoren sich voraussichtlich am Environmental Footprint (EF 3.0) der Europäischen Kommission und sollen sich zudem auf die Emissionen und den Ressourcenverbrauch eines Weltbürgers beziehen. Das Resultat ist ein einzelner baustoffbezogener Kennwert, der die Gesamtheit der globalen Umweltbelastung Ienv ausdrückt. Folgendes Bild zeigt beispielhaft die Zusammensetzung des Umweltindikators für verschiedene Dämmstoffe (Datenbasis sind EPDs nach EN 15804+A2 aus Ökobaudat 2021-II vom 25.06.2021).
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Indikatoren für Material, Bauteile und Gebäude
Der Umweltindikator Ienv wird auf Materialebene bestimmt. Analog und gleichzeitig mit der U-Wertberechnung, wie sie bei der Ausstellung eines Energiepasses erforderlich ist, kann auch eine Konstruktion beziehungsweise ein Bauteil bewertet werden. Verrechnet man anschließend alle Bauteile eines Gebäudes mit den vorkommenden Bauteilflächen, kann ein Gebäudewert berechnet werden. Um eine besser vergleichbare Grüße zu erhalten, kann dieser Wert auf zum Beispiel die Wohnfläche bezogen werden. Hierbei werden neben den Bauteilen der thermischen Gebäudehülle auch die innere Struktur (Innenwände und Decken) mit einbezogen. Das Ergebnis der Ökobilanz wird also von der Material auf die Bauteilebene und anschließend auf die Gebäudeebene transformiert und mit einem Referenzgebäudewert verglichen.
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Bauteil-Indikator
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Um nun Konstruktionen zu bewerten, kann ein Vergleich zu einem üblichen Baustandard herangezogen werden. Dafür werden überwiegend vorkommende Bauweisen für verschiedene Bauteiltypen (Dach, Wand, Boden, Geschossdecke, Innenwände, etc.) analysiert und entsprechend ein Referenziert für diesen Bauteiltyp bestimmt. Mit diesem Wert kann man die jeweilige Konstruktion vergleichen und eine Einschätzung der Umweltverträglichkeit z.B. in Form einer Umweltampel darstellen.
Gebäude-Indikator | Referenzgebäude
Die Bewertung eines Gebäudes muss die individuelle Geometrie und das vorkommen der berücksichtigten Bauteiltypen berücksichtigen. Es wird dazu ein Referenzgebäudeverfahren konzipiert - analog zum Referenzgebäudeverfahren bei der energetischen Bewertung.
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Basierend auf den Vergleichswerten wird für das Referenzgebäude ein flächengewichteter und auf das Gesamtgebäude bezogener Umweltindikator bestimmt, der als Vergleichgröße für das zu bewertende Gebäude dient. Darüber wird gewährleistet, dass unterschiedliche Flächenverhältnisse einzelner Bauteile transparent einbezogen werden. Das ist erforderlich, da sich die Optimierungsmöglichkeiten und die Umweltbelastung zum Beispiel bei einem Dach deutlich von einer Bodenplatte unterscheiden.
 

Nachhaltige Baustoffe - reicht CO₂ als Indikator?

Die Bewertung über die Nachhaltigkeit von Materialien kann für unterschiedliche Bereiche erfolgen. Energetische und ökologische Aspekte sind ein Teilbereich bei der Nachhaltigkeit. Hierzu zählen auch andere Aspekte, wie zum Beispiel:
  • Schadstoffbelastung für Mensch und Umwelt sowie die Baubiologie
  • Möglichkeit der Wiederverwertung bzw. Recyclingfähigkeit
  • Bauphysikalische Eigenschaften und Schadensrisiko
Folgendes Bild zeigt wesentliche Einflussfaktoren auf die Wahl eines nachhaltigen Dämmstoffs oder Konstruktion. Hier gilt es für die jeweilige Betrachtung die entsprechenden Aspekte einzubeziehen. Bei der Entwicklung von Bewertungssystemen kann es erforderlich sein, verschiedene Größen an unterschiedlichen Stellen zu bewerten.
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Hinsichtlich der Bewertung von Baumaterialien werden in Umweltdeklarationen (Environmental Product Declarations, EPD) verschiedene Umweltauswirkungen aufgeführt. Unter anderem sind das die Folgenden:
  • Versauerung (AP)
  • Überdüngung (EP) - Süßwasser
  • Überdüngung (EP) - Meerwasser
  • Überdüngung (EP) - Land
  • Ozonabbau (ODP)
  • Ozonbildung (POCP)
  • Treibhauseffekt (GWP -> CO₂)
  • Abbau abiotischer Elemente (ADPE)
  • Abbau abiotischer fossile Stoffe (ADPF)
  • Wasser-Entzugspotential (WDP)
Das Treibhauspotential (GWP, CO₂-Emissionen) ist dabei nur ein einzelner Baustein bei den Auswirkungen auf unsere Umwelt. Derzeit kann man einen besonderen Fokus auf den Klimaschutz und eine Fokussierung auf CO₂-Emissionen feststellen. Das ist in vielen Bereichen auch sinnvoll, aussagekräftig und die Kenntnis darüber hilfreich. Bei den Baumaterialien geht eine isolierte Betrachtung nur der CO₂-Emissionen unter Umständen nicht weit genug und mögliche andere Umweltschäden bleiben dabei unberücksichtigt.

Für eine möglichst umfassende Bewertung der Einflüsse auf unsere Umwelt ist es daher wichtig, alle bekannten Einflüsse zu kombinieren, um die Gesamtbelastung auf die Umwelt besser erfassen und holistischer bewerten zu können. Ein Baustoff mit einem geringen Treibhauspotential ist nicht zwingend auch positiv bei anderen Umweltauswirkungen. Siehe Baumaterial-Indikator.

Austausch

Die Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten betrifft viele fachliche und gesellschaftliche Bereiche. Hier ist es notwendig und wichtig, mit den entsprechenden Akteuren und Gremien zu diskutieren, wie die Bereiche im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung definiert und einbezogen werden können. Dabei ist es unerlässlich einen Gesamtüberblick zu behalten um die Systeme in der Thematik zu sortieren und entsprechend zu Gewichten. Aktive Workshops eignen sich in bestimmten Projektstadien besser, als beispielsweise Fachtagungen.
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Technische Indikatoren

Die Nachhaltigkeitsbewertung von Baugebieten fußt in einigen Grundlagen oft auf der Bewertung von Einzelgebäuden. Neben sozioökonomischen und urbanistischen Aspekten, werden auch weitere Faktoren relevant. Für die vergleichende Bewertung von Baugebieten haben sich bisher noch keine einheitlichen Indikatoren durchgesetzt. Hier herrscht weiterhin Forschungsbedarf, gerade auch in technischen Bereichen.
Die Entwicklung von Indikatoren kann hier helfen, die Qualität von Systemen einzuschätzen. Diese müssen neben den vorhandenen Bereichen auch weitere mit einbeziehen.
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Einzelgebäude
Auf Gebäudeebene können Anforderungen nach üblichen Effizienz- und Nachhaltigkeitsstandards festgelegt werden.
  • Niedriger Energiebedarf und geringe Leistung
  • Robustheit gegenüber dem Außenklima
  • Umfangreiche Nutzung von Umweltenergie
  • Eigenstromnutzung mit hohem Autarkiegrad
  • Schaffung von "smart-grid-ready"-Gebäuden
  • Nutzung umweltschonender Materialien
  • Vermeidung von Schadstoffbelastungen im Raum
  • Schaffung von Wiedernutzungspotential
Dazu kommen natürlich weitere Aspekte wie barrierefreies Bauen, technische Systeme, Bau-Qualitätskriterien usw. - gemäß den drei Säulen der Nachhaltigkeit Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Materialpass
Hinsichtlich der verwendeten Baumaterialien sind die Umweltauswirkungen bei der Herstellung relevant. In der Lebenszyklusbetrachtung sind weitere Informationen erforderlich. Ein standardisierter Materialpass kann hier hilfreich sein. Darin enthalten sind nicht nur verschiedenen Material- und Stoffeigenschaften, sondern es werden auch eine Verortung, das Demontagedesign, die mögliche Weiternutzung und ggf. Besitzverhältnisse erfasst und langfristig gespeichert.
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Werkzeuge

Neue Bewertungsmethoden können nur erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden, wenn sie leicht und verständlich angewendet werden können. Dafür sind einige Werkzeuge entwickelt worden, mit denen das umgesetzt werden kann. Neben der Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden nach dem LENOZ-Verfahren, können auch individuelle Konstruktionen hinsichtlich der grauen Energie und der Umweltbelastung bei der Herstellung betrachtet werden. Die individuelle Verarbeitung und Einbeziehung von firmenspezifischen Umweltproduktdeklarationen (EPD) ist hier essentiell, da branchenübliche Gesamt-Durchschnittswerte nicht immer vorteilhaft sind. Zum Beispiel wenn ein Hersteller im Vergleich besonders viel erneuerbare Energie im Herstellungsprozess verwendet.
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Die Welt verändern, ein Gebäude nach dem anderen.
Markus